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Karibischer Ball

Erzählungen und Reportagen

Schwarz- weisse Ästhetik, die Erotik der Gegensätze, so fängt die Begegnung des schwarzen Mannes mit der weissen Frau an einem karibischen Ball im Elsass an. Es folgen Theorien über den Anderen auf Grund der Hautfarbe und Versuche, die Liebe über alle Rassenschranken zu erhalten. Zwar kommt es zum Scheitern, doch das Kind des multikulturellen Paares soll ein Vorbote der Versöhnung sein, in einer globalisierten Welt, in der der Gibraltar zu einer Snackbar werden soll. Der alltägliche Rassismus ist noch da, in dahergesagten Vorurteilen, absurd, makaber. Und der afrikanische Klan fordert den Familienzusammenhalt, doch die weisse Mutter entzieht sich, sie will über den Bauch hinaus lieben, sie befreit sich aus den Farbkriterien, Familienzwängen, ihre Pore in der Luft hoch über dem Nil schliessen sich.

Sammelband „Karibischer Ball“, eFeF-Verlag Zürich, 1991, nicht mehr im Buchhandel. 

Über die Autorin erhältlich.

Auszüge

Aus der Titelerzählung „Karibischer Ball“: 
Nach Mitternacht strömten immer mehr Männer in den Saal herein. Zur Begrüssung holten sie mit dem rechten Arm weit aus und schlugen klatschend zu. Die kurzen Wortwechsel auf Kreolisch endeten mit Lachsalven. Die schnellen Laute waren kein Redefluss, es waren Fontänen. Als würden sie dem Wort zuwenig Bedeutung zumessen, stützten sie es mit Berührungen ab, als überprüften sie die Existenz anderer am liebsten durch Tastsinn. Lionel wartete taktisch zwei volle Stunden, dann holte er Nathalie zum Tanzen ab. Je mehr sie sich seinem Rhythmus anglich, umso geschmeidiger steigerte er die Geschwindigkeit, war ihr immer voraus. Mit seinen breiten Handflächen fuhr er über ihren Rücken, in grossen Bögen, mit weit gespreizten Fingern, die ganze Fläche abdeckend, beständig, sich seines Besitzes sicher und doch vorsichtig, jederzeit bereit, anzuhalten. Grosszügig, professionell, ein arbeitsamer Pflüger. Der Druck war entscheidend, fest genug, um Knechtschaft zu erahnen, leicht genug, um mit Freiheit zu locken. Das Lied hörte nicht auf, die Zeit folgte einer Acht. 
„Martinique, Guadeloupe, Guayana, kilindon, kilindon, ajajajaaaaj...“ Die Hüften redeten, riefen, strebten einem Ziel zu und bebten gleichzeitig nur für sich, zweckentbunden. Das Blut strömte durch die engen Kanäle, überstürzte sich, eilte zur Haut, wälzte sich dicht unter ihr, eine Sintflut. Lionel hielt die Augen geschlossen. In seinem Bart glitzerten Schweisstropfen wie Weihnachtsschmuck. Sie standen aneinandergepresst am Ort, die Becken schmolzen zu einer uralten Wiegenschwingung zusammen. Nathalie tanzte die Nacht so durch, wie sie bis jetz nur zu schlafen vermochte.(...) 
Lionel scherte sich nicht um den Geschmack der weissen Bürger. Er lebte bei ihnen, in ihrer Nähe, aber nicht nach ihren Kriterien. Für die Begriffe seines Milieus sah er durchaus respektabel aus. "Sie wissen, dass ich arbeitslos bin, und sie fragen sich, wie schafft er das, immer elegant zu sein. Lionel triumphierte." Er stampfte aus dem Nichts einen Palast. Das war Überlebenskunst. Kostümiert, krawattiert, parfümiert, gut gelaunt, an seiner Seite stets eine Frau, oft eine andere und nie die Ehefrau, so erschien er zu den Bällen. Er schätzte die aufgedonnerte Form, den Maskenball, das Dorftheater. Nach Geld auszusehen und keines zu haben war in seinen Augen ehrbarer als eine gesicherte Beamtenexistenz. Vorläufig, denn das geregelte Leben eines unscheinbaren monogamen Familienvaters in einem Vorstadtbhäuschen war sein ferner Traum. Manchmal gab er sich trotzdem Mühe, führte seine kleine Tochter aus, doch der Weg brachte ihn von alleine in die Bar. Ab und zu zahlte er eine Runde. Was er hatte, teilte er gleich mit den anderen. Vor den copins grub er nicht nach seiner Melancholie, dort sprach er laut im schnellen Kaskadentempo, er war einer von ihnen. Scheinbar. Freunde hatte er keine. Frauen fielen ihm zu. Sein Milieu vermutete begnadete Männerpotenz, aber wusste eines nicht: Seine Wahrhaftigkeit teilte Lionel nur mit der Frau.  
Nathalie lavierte zwischen den Blicken der schwarzen Proleten, eine vibrierende Kugel, betört von sich selbst. Ihre Lederanzüge wurden enger, sie gab sich als Blumenverkäuferin aus, lachte viel. Lionel flehte sie an: „Bleib kühl. Lächle nicht, rede nicht mit ihnen. Eine Frau muss schroff, streng sein. sie muss den Mann dazu bringen, die Augen vor ihr zu senken.“ Er wehklagte: 
„Sie scheuen sich nicht, mir die Geliebte vor den Augen auszuspannen. Ich bin ein Niemand geworden.“ „Sie beneiden dich.“ „Keineswegs. Sie halten dich für eine leichte Beute. Deine Universitätsweisheiten kannst du dir einstecken. Mir wäre lieber, du wärst eine anständige Putzfrau.“ Lionel log gewohnheitshalber, Nathalie glaubte ihm aus Prinzip. Eine Hand auf ihrem Schenkel, in der anderen den Telefonhörer, Lionel rief Frauen an, borgte sich von Nathalie Geld fürs Taxi und fuhr zu ihnen. In seinem Milieu gab es das Fama der besonderen Milde der weissen Frau. Als sie endlich den Humanismus aufgab und Drohungen schrie, klatschte er, umarmte sie. „Wie wütend du sein kannst“, lallte der verlorene Sohn, der seine Urmutter wiederfindet. „Ich brauche Widerstand“, bat er sie. Nathalie schaute angewidert zu, wie ihr Zorn ihn zur Ruhe brachte, seinen Geist anregte, ihm Achtung vor ihr schuf. Die Frau war die Struktur, die Lebensmitte, die Göttin, das Verhängnis. Lionel, ein Betender, ein Pilger, den heiligen Ort erahnte er in den verborgenen Windungen der Vagina. Die kosmische Trauer, die ihn heimsuchte, war rein, staubfrei, er ergab sich ihr. „Ich suche etwas, ich kann es nicht finden, aber ich weiss: Es ist in der Frau.“ 

Aus „Die Rebellin“: 
„Mein Vater war Kantonschef in Fouta Djalon. Er wollte mich nicht in die Schule schicken. Nur die Knaben schickte er. Er wollte, dass wir Mädchen später unsere Ehemänner achten.“ „Meinte er, dass die Schule die Achtung vor dem Mann austreibe, weil die Frau klüger als der Mann werden könnte?“ „Ja, das meinte er.“ 
„Haben nur die Ungebildeten Achtung vor den anderen?“ „Gewöhnlich ist es so. Wir Mädchen, wir blieben ungebildet, und man verheiratete uns sehr früh. Ich wurde mit 16 Jahren verheiratet.“ Da mischte sich Oury ein: „Haben Sie es akzeptiert?“ „Aus Achtung vor meinen Eltern habe ich es akzeptiert.“ Oury drängte weiter, mit Hoffnung in der Stimme: „Haben Sie es auch in ihrem Herzen akzeptiert?“ Gab es kein Tauziehen, keine Reibereien?“ „Nein, keine Reibereien, ich habe es akzeptiert. Unsere Bräuche gebieten uns, das zu tun, was die Eltern wünschen.“ Da fragte ich ungläubig: „Haben Sie diesen Mann geliebt?“ „Ach, ich musste ja.“ Sie lachte tief. „Ich habe ihn geliebt.“ „Kann man zwangsweise lieben?“ „Mit der Zeit sah ich ein, dass er mich liebte, mich unterstützte, vor allem meine Eltern, also liebte ich ihn.“ „Er liebte also nicht in erster Linie Sie, sondern ihre Eltern.“ Hadja Bobo erklärte: 
„Er fing mit mir an, er liebte mich, wir haben uns verstanden, gemeinsam haben wir meine Familie unterstützt.“

Oft stiess ich in Guinea auf diesen erweiterten Liebesbegriff, nach dem die Ehe nicht die Angelegenheit zweier Individuen, sondern ganzer Sippschaften ist. Als wir dann erfuhren, dass Hadja Bobo die dritte von vier Frauen ist, berührte es uns peinlich, denn die chronologische Reihenfolge der Ehefrauen entspricht auch einer Werteinstufung, nach der die erste Frau die meisten Rechte hat. Die vier Familien von Hadja Bobos Ehemann leben nicht unter einem Dach, jede Frau hat ein Haus für sich und für ihre Kinder, wo der Mann in einem regelmässigen Turnus für zwei Tage einkehrt. Hadja Bobos Nebenfrauen leben wie auch der Mann in der Stadt Labé, sie ist aber schon vor einigen Jahren mit ihren Kindern nach Conakry gezogen. Sie tat es wegen der Kinder, damit sie in der Hauptstadt die höhere Schule besuchen konnten. Ab und zu fährt sie für ein paar Tage zu ihrem Mann nach Labé. Nur bei familiären Zusammenkünften, bei Todesfällen, Taufen und Hochzeiten treffen sich alle Frauen und die zahlreichen Kinder. „Wir teilen den Mann“, sagte Hadja Bobo und lachte. 

Aus „Brief an meinen schwarzen Sohn“:  
„Der Kinderarzt fragte mild: „Seit wann ist er schon bei Ihnen?“ Ich schaute dich verwundert an. „Sehen Sie die gewölbte Stirn nicht? Die hat er von mir.“ Er schwieg. Ich schaute dich wieder an und sah, was er sah. Nicht die Wölbung, sondern die Tönung. Ein Findelkind? Gefunden unter Gefahren der tropischen Zone, unterernährt, entrissen der Obhut der Affen, der Wölfin, ein Tarzan, ein Romulus und Remus auf schwarz? 
In Gedanken meine Rettungsversuche: Noch weiss ich, wie der grosse Bauch mich besetzt hielt gleich einer hungrigen Armee, über mich donnernd hinwegrollte und eine Dehnung hinterliess. Zum Glück gab es den Schmerz des Verlassens. Dass ich es nicht vergesse, das, was unmöglich ist: Du wurdest in mir modeliert, damit du aussiehst wie aus Ton.(...) Mein Bauch ist dein Bauch, mein Busen ist dein Busen. Gedrängt in die Defensive besinne ich mich auf unsere Blutsbande. Und doch will ich es nicht. Über den Bauch hinaus will ich dich lieben. 

Habe ich mich aus der Gemeinschaft hinauskatapultiert? Ein Publikum ruft begeistert zum ungeschützten Flug: „Mut hast du, welchen Mut!“ Als ich dich noch nicht kannte, als uns beide meine Haut noch bedeckte, badete ich manchmal im Morgengrauen im eigenen Schweiss, eine Gefangene der Farbkriterien. Damals fand auch ich meine Tat mutig. Im Schrecken gedeiht der Mut. Wollen wir ihn ablegen, den Mut, mein Sohn. 
Noch warst du eine zarte Kaulquappe, und ich vertraute mich der Frauenärztin an. Zaghaft gab ich das Geheimnis preis. Und sie rief laut aus, schrie ihr eigenes Entsetzen an, wie man ein unerzogenes Kind anschreit, das stört, dazwischenredet: „Aber das macht doch gar nichts! Das ist, als ob man abstehende Ohren hätte!“ Die Hand will einen Kinderkopf streicheln, aber die abstehenden Ohren sind im Wege, diese Ohren, die beim blossen Anblick wachsen, wuchern, ein Wall werden. Nicht Schönheitskriterien stempeln die golden schimmernde Tönung deiner Haut zu einem Makel, sondern Herrschafts- und Wirtschaftsverhältnisse. In diesem Gefälle tendiert man zur Bleiche. 
Wenn ein Mann aus einem engen Tal eine Frau aus der Ebene nach Hause brachte, herrschte Aufruhr im Tal. Zwei Dörfer, zwei Kontinente. Die ganze Last des Misstrauens musst du durch den schmalen Bergpass hindurchtragen. Doch bald wird der Gibraltar eine Snackbar auf einem Boulevard sein. Solange begnüge dich mit dem Glückszeichen des Bahnbrechers auf der Stirn. 
Deine Haut ist deine Chance. Wisse sie zu nutzen. Du bist das Fabelwesen, ein Riesenfrosch aus den Märchen, in dem sich Rassen begegnen. Du wanderst duch Umarmungen, angstfrei, man spricht zu dir in den verschiedensten Sprachen. Du hörst zu. Höre zu, mein Sohn, höre gut zu. 

Aus „Bokar, der Sohn von Ibrahima“:  
Wir nennen ihn Bokar. Diesen Namen wollte er seinem erstgeborenen Sohn geben, aber er unterliess es, dies auszusprechen, so wie er vieles zu tun unterliess. Seine Stärke ist das Warten. Man kann sogar sagen, dass er nichts ausser dem Warten kann, seinem uralten Warten ohne Anfang und Ende. Wie eine seit Jahrtausenden wartende reglose Eidechse liegt er auf einer Meeresklippe, schaut mit gesenkten Augenlidern über alles hinweg, schaut aufs Meer. Seine alte Seele verbeugt sich vor dem Meer, schaut immer aufs Meer hinaus, über die Autobahnen, Häuser, über den Kontinent hinweg; er schaut auf sein Land zurück. Wartend. Dort, wo er herkommt, ist das Warten das grosse Tun. Männer liegen schläfrig vor ihren Häusern und warten. Frauen bücken sich müde und warten, verharrend. Die Säuglinge, festgeschnallt an den Rücken ihrer Mütter, schlafen geduldig. Die grossen Kinder schauen die Fremde an, sie warten, dass etwas passiert. Die Hitze ist erregt, sie wartet mit. Die Hunde hungern leise, lungern. So sah sie sein Land. 
Wir nennen sie Jana. So wollte sie als Kind aus einer entlegenen Provinz heissen. Als Jana Bokar zum ersten Mal sah, sah sie einen matten, verstaubten Wartenden. Sie erkannte die verstaubte Provinz wieder, die sie für immer verlassen wollte. Ist im Warten das Sein eingeschlossen? Sie hielt das Sein für glanzvolles Emporschwingen, für aufgeregtes Flügelschlagen. Ihre Landungen waren kurz, waren Pausen. Sie hat es unterschätzt. Sie wusste noch nicht, was er schon immer wusste: Dass sein Erbe eine Kraft ist. Sie dachte in der Art der Kinder, der Vögel: Ich setzte mich mal hin, einfach so, unverbindlich, bloss zum Ausruhen, Verweilen, Plaudern. Noch wähnte sie sich geborgen an einer Zwischenstation, noch war Bokars Lethargie angenehmens Plätschern, noch stand sie nicht vor der unbekannten, unumstösslichen Mauer. Es war sein Rhythmus, der Bokar vor Jana schützte. Dieses Wunder an Langsamkeit. „Du bist lebensunfähig“, entsetzte sich Jana. Doch Bokar überlebte. Er bewältigte die kleinsten Dinge des Alltags mittels ausgedehnter Vorbereitungsrituale. Drei Tage lang schickte er sich an, ein Hemd zu kaufen, das er schlussendlich, am vierten Tag, nicht kaufen konnte, weil er kein Geld hatte. Jana hielt diese Rituale für Lügen. Er täusche bloss vor, er sähe die Wirklichkeit nicht, empörte sie sich. 
Bokar hatte ein grossmaschiges Raster, vieles fiel hindurch, fiel wieder heraus. Bokar vergass, dass er kein Geld hatte. Er vergass es, weil er grosszügig dachte, weil das Geld ein Fluss war, der niemandem gehörte. Er hielt sich für die Tat des Hemdenkaufes innerlich bereit, er wartete auf den richtigen Augenblick, in dem ihm das Geld zufliessen würde, einfach so, wie sich ein Bächlein vom Hauptstrom zufällig, schicksalhaft absondert und zum ausserwählten Kind hinunterfliesst. Als es nicht eintraf, war es nicht seine Schuld. Der Augenblick war noch nicht gekommen. Nicht seine Grundhaltung war falsch, der Zeitpunkt war falsch bestimmt worden. Bokar hatte sich nichts vorzuwerfen, er hatte seinerseits alles vorbereitet. Er war bereit, aufzubrechen, aufzubrechen zur Tat. Er hatte sogar eine fast konkrete Ahnung von diesem Hemd, das er dann, nach der vollbrachten Tat, an seiner Haut tragen würde, das er dann waschen und bügeln würde. Sein Hemd. Sein Hemd war er selbst, das hat Jana lange nicht begriffen. Er entzog sich ihr während seiner Vorbereitungen, er sammelte sich, er gehörte nur dem zu kaufenden Hemd, er gehörte seiner bevorstehenden Tat. Er schwieg an diesen Tagen, weil Worte Löcher im Gemäuer sind. Er hörte Jana nicht zu. Nichts drang in diese Ballung ein. Sie liebte ihn in solchen Aufbruchslagen wie einen unglücklichen, verfluchten Menschen, für sich, mütterlich, unerreichbar. 

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Rezensionen

Hingabe und Rückzug, Öffnen und Verschliessen: Das ist der Wechselrhythmus, der Irena Brežnás neues Buch durchpulst. Ihre Texte leben - wie die Haut, die schwarze und die weisse, von der sie handeln. Schon der erste Satz öffnet sich für eine weite Geste, für Lionel, den schwarzen Fabrikarbeiter: 
„Lionel beanspruchte viel Lebensraum, warf beim Gehen die schlacksigen Arme von sich, drehte sich im Halbkreis um die eigene Achse, streckte mit seinen beweglichen Augen den ganzen Horizont ab, machte lange, regelmässige Schritte, als wäre er dabei, die Erde für einen unbekannten Zweck auszumessen.“ Und wenn die Autorin schliesslich nach knapp zweihundert Seiten die Afrikaner verlässt, wird es wieder kühl und eng um ihre weisse Protagonistin: 
„Benitas Poren schliessen sich.“ ...Weiss oder schwarz, stark oder schwach: Der ständige Perspektivenwechsel und die Umpolung der Wahrheit zwischen Schwarzen und Weissen, zwischen Mann und Frau, machen dieses Buch so dynamisch, bisweilen auch komisch und immer vorurteilslos. Das Wartevermögen kann ebenso Macht wie Ohnmacht des schwarzen Mannes sein. Wie bei „Bokar, dem Sohn von Ibrahima“: Oft verzweifelt seine weisse Geliebte an Bokars Seelenruhe, manchmal ist sie davon wie narkotisiert. Die Sippe des Afrikaners verschlingt ihre Individualität bedrohlich, dann wieder löst sie sich gerne auf im „grossen Ganzen“. Sie lässt sich fallen - um schliesslich doch wieder alle zu verlassen, um nicht vom „grauen Raum“ des Gleichmuts verschlungen zu werden. 
Suchen und Fliehen, Hingabe und Selbstrettung, Weiss und Schwarz: Alles ist in Bewegung. Und der Tanz der Geschlechter und Rassen ist es auch, der Lionel mit Nathalie nach vielen Umwegen am Schluss der Titelerzählung für einen kurzen Augenblick wieder verbindet: „Zouké, zoukéééé...j`ai une femme, j`ai une mère, j`oublie tout, je dance.“ Festhalten und Loslassen, Beweglichkeit: Das ist das Prinzip Leben - erfahrbar beim „Karibischen Ball“ von Irena Brežná. 
Christine Richard, Basler Zeitung

„Karibischer Ball“ vereinigt Erzählungen und Reportagen, die allesamt vom Fremden handeln. Und davon, wie schwer wir uns damit tun, Fremdes nicht als Bedrohung unserer eigenen Identität zu sehen...Es ist wohl kein Zufall, dass die Haut im „Karibischen Ball“ eine ausschlaggebende Rolle spielt: menschliche Haut als Zeichen der Identität, der Abgrenzung - und als Zeichen des Andersseins. 
„Brief an meinen schwarzen Sohn“, der berührendste Text des Bandes, ist eine hoffnungsvolle Utopie, der Entwurf einer Welt, in der Getrenntes zueinander findet. Das Kind einer weissen Frau und eines schwarzen Mannes, zwei Kulturen und zwei Welten in sich tragend: Wird dieses Kind in diesem Zwischenraum leben können, in dem es keinen Platz für starre Kathegorisierungen geben darf? „Du gehörst ihnen, jenen, die mit dir verwandt sein wollen. Ich gebe dich in ihre Arme. Du, mein Afrika, du, mein mein Europa, du bist das Wunder der Versöhnung.“ 
Ihr eigener Werdegang mag dafür entscheidend gewesen sein: Irena Brežná weiss jedenfalls dicht und nuanciert von den Schwierigkeiten interkulturellen Begegnung zu erzählen. 

Josef Bossart, Berner Zeitung

Kleine Bravourstücke sind der Autorin über Annäherung und Differenzen zwischen Schwarz und Weiss gelungen. Dass ihr leidenschaftliches Plädoyer gegen Rassismus dabei subversicher wirkt als jedes aufklärerische Pathos, beweist u.a. ihr artistisches Niveau. 
Christine Wittmann, Die neue Bücherei, München 

Der Text, der dem Band den Namen gab, die Erzählung „Karibischer Ball“, steht gleich als erster, ist der längste und scheint mir der gewichtigste und kräftigste. Hier begegnen sich Lionel und Nathalie in einer Liebesbeziehung, die jenseits der meisten Erklärbarkeiten aufflammt. Sie ist fasziniert von ihm, seiner Welt, seinem Körper, seinen Bewegungen, seiner stolzen Überlegenheit, und für ihn ist die weisse Frau ein unbestreitbarer Beweis gesellschaftlichen Aufstiegs; er will sie besitzen und muss sich und seinen Landsleuten doch immer wieder beweisen, dass er sich von ihr nicht abhängig machen lässt. Die Konfliktkreise, in die diese Liebe unweigerlich gerät, sind Gesellschaft/Normen/Aussenwelt, Heimat/Fremde, Sexualität und Geld. In allen diesen Bereichen reiben sich die Verschiedenheiten („Sie sprach von der Liebe, er sprach von Gott“) und eigentlich gibt es nur einen Ort, wo sich die beiden nahekommen: in der körperlichen Verschmelzung. 
In diesem Text wird am deutlichsten, was Irena Brežnás Texte so packend gelingen lässt: es ist ihr „Ort des Schreibens“, der weder im einen noch im anderen Bereich zuhause ist. Als sähe die Schreibende von aussen zu, wie sich die einander fremden Welten mischen, abstossen, abgrenzen; die Zerrissenheit wird beobachtet, notiert, und die beiden Seiten kommen nie in einen Wettstreit der Werte. Das macht, dass uns auch unsere eigene Welt fremd wird, zufällig und veränderbar. Wahrscheinlich ist dies das Fairste, was sich erringen lässt. 
Verena Stössinger, Nordschweiz, 26. Nov. 1991 

Wer einmal der „schwarzweissen Ästhetik“ verfallen ist, dem gerät die Faszination am Fremden leicht zu einer Art erotischer Sucht. Dies zumindest legen Irena BrežnásTexte nahe. Die Autorin selbst interessiert am Thema der vielschichtigen Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Kultur und Hautfarbe weniger das Verbindende als das unüberwindbar Trennende. Stärker als in jeder anderer Partnerschaft werde man dabei immer wieder mit der Tatsache konfrontiert: „Der Mensch ist ein Andersdenkender.“ 
Ulrike Jamin, FAZ, 26.5.1993. 

Ein Erlebnis ganz anderer Art sind dagegen die Reportagen Irena Brežnás im selben Band. Die Formulierungen wirken leicht, die Beobachtungen sind präzise und doch stimmungsvoll. Da überzeugt die sachliche Recherche ebenso wie der Versuch, sich ins kulturell Fremde einzufühlen. In der Reportage „Die Rebellin“ begleiten wir die Autorin nach Guinea und vollziehen am Beispiel der glorifizierten Rebellin Hadja Bobo den Lernprozess der Journalistin nach, Personen ihres Interesses und ihrer Wertschätzung nicht nach eigenen Bildern zuzurichten, sondern zu beobachten, zu erforschen und zu beschreiben, wie sie wirklich sind: „Je besser ich Guinea kennenlernte, umso seltener hämmerte ich mit Fäusten an verschlossenen Türen. Ich verstummte und warf verstohlene Blicke ins Halbdunkel.“ Eindrucksvoll und desillusionierend auch die Reportage aus den guineischen Flüchtlingslagern, die Beschreibung des bürokratischen Dickichts. Ein Kind, angelehnt an eine vernagelte Unicef-Kiste, droht zu sterben, weil ein anderes „Hochkommissariat“ für die Verteilung der Nahrungsmittel und Medikamente zuständig ist. 
Sobald die literarische Form keine narrative, fiktionale ist, verschwindet auch das deutlich Bemühte in Brežnás Sprache: Die Texte wirken lebendig, machen nachdenklich, berühren. Im „Brief an meinen schwarzen Sohn“ (dieser Sohn der Autorin existiert tatsächlich), wird die Banalität des alltäglichen Rassismus deutlich, und sie wird im O-Ton überzeugend dargeboten: „Sein Vater ist Afrikaner“ - „Das macht gar nichts, wir mögen alle Kinder“, oder „Die breite Nase kann man operieren“, sagte die Grossmutter, „wenigstens das“. 
Gegen Ende des Buches dann die Reise in die Heimat des ehemals geliebten schwarzen Mannes. Sehr schön, sehr unverstellt schildert Irena Brežná die Annäherung an die fremde Familie, die entstehende Bindung bis zu dem zeitweiligen Wunsch, einzutauchen in die Geborgenheit des afrikanischen Clans. Aber ebenso klar die Erkenntnis rassistischer Züge auch bei den Afrikanern. Da ist es beileibe nicht sicher, ob der Vater seinen hellhäutigen Sohn würde lieben können, und der Vereinnahmungswunsch der afrikanischen Familie ist nicht weniger autoritär als bei den heimischen Verwandten: „Das ist die Sprache der Sippe, mein Sohn. Sie hat keine Hautfarbe, kein Land, keinen Kontinent. Du wirst sie überall an ihrer Vernarrtheit in den Status quo erkennen. Auch eine lebensbewahrende Vernarrtheit?“ 
Ingrid Apel 

Wie in ihrem „Schwarzweissen Kinderbuch („Biro und Barbara“) thematisiert die Autorin auch hier das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen, die Schwierigkeiten, Fremdheit zu überwinden, aber auch die Faszination des Andersartigen. Es ist nie Schönfärberei und falsche Sentimentalität, aber auch nie Blosstellung, Verächtlichkeit. Es ist der Versuch, andere Lebensart zu akzeptieren, zu verstehen, mit ihr umzugehen. 
Katharina Boulanger, okz-Informationsdienst

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