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Biro und Barbara

Erzählung

 

Nord und Süd, weiss und schwarz sind vereint auch als Schreibende in diesem ungewöhnlichen Jugendbuch. Zwei Autoren beschreiben auf der kindlichen Ebene ihre eigenen Vorurteile über die jeweils andere Kultur und beschreiten in einer realistisch-fantastischen Erzählung einen gemeinsamen Weg daraus. 
Der Junge Biro lebt in einer afrikanischen Diktatur und hat das Problem der Abhängigkeit von seinem autoritären Vater. Durch die Begegnung mit der freiheitlich erzogenen Europäerin Barbara befreit er sich davon. Sie wiederum, die ihre Weisheiten vom Fernsehen hat, entdeckt in Afrika die unmittelbare Erfahrung und die Einsame bekommt Freunde. 
Für Jugendliche gleichermassen geeignet wie für Erwachsene.

Jugendbuch
„Biro und Barbara“, 
Zytglogge Verlag Bern 1989, 96 S. nicht mehr im Buchhandel. 

Über die Autorin erhältlich.

Auszüge

Ich war wie alle Tage am Flughafen, um ein wenig Taschengeld zu verdienen. Ich verkaufe dort kleine Koras, die ich selbst herstelle und den eilenden Passagieren anbiete. Bei der Ankunft jedes Flugzeuges stelle ich mir vor, dass ich einen Teil von mir selbst begrüssen würde, der vor langer Zeit abgereist ist, um andere Länder zu entdecken...Gestern war es soweit - ich ahnte, dass in jenem Flugzeug, dass gerade gelandet war, ein Botschaftsträger für mich gekommen war. Ich ging zum Passagierausgang, um auf ihn zu warten. Mein Blick glitt über die unbekannten, eilenden Menschen. Sie erinnerten mich an Kranke, die wegen des Durchfalls zur Toilette rennen....Versunken in meine Gedanken hätte ich ihn fast verpasst. Gestützt auf den Arm ihrer Mutter ging sie zum Passagierausgang. Oder es war eher die Mutter, die sich auf ihre Tochter stützte, als würde sie fühlen, dass diese ihr durch einen Zauber zu entkommen drohte. Das war sie, meine Botschaftsträgerin!... Sie sah so aus, wie ich es mir nur wünschen könnte. Sie trug ein einfaches Kleid in Regenbogenfarben. Doch es waren hauptsächlich ihre Haare, die mich anzogen. Es waren sehr, sehr lange schwarze und glänzende Haare, die weder in Zöpfe noch sonst irgendwie angebunden waren. (...) 
 

 

Heute Nacht träumte ich von einem Regenbogen, der gekommen war, um mein Zimmer zu erleuchten und der sich zu einem Kreis schloss. In der Mitte des Kreises befand sich eine Kürbisschüssel, gefüllt mit Früchten, die ich gerne mag: Mangos, Orangen, Guajaven, Papajas. Ich sah mich die Früchte mit anderen Kindern teilen... Dieser Traum war ein gutes Vorzeichen. Er ähnelte der Zeremonie, die wir in den Dörfern veranstalten, um jemanden zu begrüssen, der von einer langen Reise gekommen ist. Und dieser Jemand konnte für mich nur jenes Mädchen mit den langen Haaren sein. (...) 
 

 

Als wir aus dem Hotel hinausgingen, war wieder diese Hitze da wie eine unsichtbare heisse Dusche. Die Mutter ging auf ein Taxi zu. Ich folgte ihr langsam und hatte dauernd das Gefühl, etwas verloren zu haben. Was könnte es sein? Als ich anhielt, um es mir genau zu überlegen, bemerkte ich ihn, eigentlich nicht ihn, sondern seinen Blick. Immer, wenn mich etwas erstaunt oder mir ein Gedanke kommt, bleibe ich stehen. Mama ärgert sich darüber. Sie meint, man solle immer gleichmässig gehen. Ich muss es ihr stets von neuem erklären:

„Wenn etwas Wichtiges geschieht, muss ich doch bremsen, sonst verliere ich es!“
Als mich diese zwei grossen dunkelbraunen Augen anschauten, wusste ich gleich, was ich verloren hatte. Das war er! Ich hatte ihn verloren gehabt und wiedergefunden! Das klingt für viele Leute sicher merkwürdig, denn sie meinen, man könne doch nicht das verlieren, was man noch nie gesehen hat! Dieser afrikanische Junge schaute mich so an, als hätte auch er mich wiedergefunden. Er betrachtete mich nicht so fremd wie die neugierigen Augen vom Flughafen, sondern wie jemand, der alles von mir weiss. (...)

​

 

Wir stiegen vor einem niedrigen Haus im Grünen aus. Der Mann in Blau deutete auf eine Bank im Hof, wir setzten uns, er ging hinein und rief: „Biro! Biro!“ Lange geschah nichts. Es war still und heiss. Ich wäre wieder eingeschlafen, aber da hörte ich ein Geräusch, ich schaute zur Tür. Dort stand der Junge mit der Milchstrasse in den Haaren. Ich sprang auf und rannte zu ihm, er ging ruhig auf mich zu und nahm mich bei der Hand:
„Komm mit.“

Der Mann in Blau rief uns nach:
„Geht nicht zu weit!“
„Hast du eine dicke grüne Schlange?“ fragte ich ihn, als wir uns durchs Gebüsch schlängelten.
„Nein, warum?“
„Verkaufst du Geier oder Schimpansen?“
„Nein, ich verkaufe kleine Koras.“
„Sind Koras kleine Schlangen?“
„Die Kora ist ein Musikinstrument, wie eine kleine Gitarre.“
„Hast du Angst vor Geiern?“ Ich konnte nicht aufhören zu fragen.

„Nein.“
„Badest du im Meer?“

„Manchmal. Warum fragst du mich das alles?“
„Weiss du, ich habe so viel gesehen, viele Geier, die gelacht haben, einen Tintenfisch, eine Lawine, ein Schimpansenbaby, das Meer, eine Schlange als Turban und einen Jungen wie dich. Ich bin so durcheinander. Wohin gehen wir jetzt?“ 
„Siehst du den Abhang da, dort ist eine Meeresbucht, in der die Kinder bei Ebbe baden. Wir gehen dahin.“

„Werden wir dort baden?“
„Nicht heute.“
„Warum nicht?“
„Dieser Tag gehört der Meerfrau, die hierher zum Baden kommt.“
„Ist sie schön, diese Meerfrau?“
„Ich habe sie noch nie gesehen. Aber die Leute sagen, dass man sie erblicken könne, wenn sie um Mitternacht aus dem Meer steigt. Sie hat viele Haare und viele Schlangen in den Haaren, und sie heisst Mamimuata.“ (...)
 

 

Biro und Barbara...gehen wie Jäger auf leisen Sohlen, um Geräusche zu vermeiden. Endlich sehen sie zwischen den Baumästen zwei riesengrosse hellgrüne Frösche, dick wie wohlgenährte Katzen, die sich reglos am Weiherufer sonnen.

„Wie schön sie sind. Ich habe noch nie so grosse Frösche gesehen“, wundert sich das Mädchen.

„Niemand würde es mir glauben, wenn ich es erzählen würde. Und wahrscheinlich sollten wir es niemandem erzählen, weil man es uns verbieten würde, hierherzukommen.

„Ich möchte mit ihnen spielen.“
„Sei vorsichtig. Du weisst nicht, ob sie nicht gefährlich sind.“
„Komm, wir schleichen uns an sie heran. Jetzt schauen sie uns an. Wie lieb sie sind! Sie sind sicher nicht gefährlich. Glaubst du, dass wir sie dressieren könnten?“
„Warum willst du sie dressieren? Warum willst du sie nicht so, wie sie sind?“ wundert sich der Junge.
„Ich will mit ihnen spielen.“ 
„Du kannst mit ihnen spielen, ohne sie zu dressieren.“
„Wie? Das ist unmöglich.“
„Du kannst ihnen beibringen, was du kannst, und sie können dir beibringen, was sie können...Seit ich auf der Welt bin, sind sie da. Und seit mein Vater auf der Welt ist, sind sie da. Und seit mein Grossvater auf der Welt ist, sind sie da, und sie haben bis jetzt keine Menschen nötig gehabt.“

„Es sind also nicht die Frösche, die etwas bei mir lernen etwas lernen wollen. Vielleicht willst du etwas bei mir lernen?“
„Ja, du bist meine Botschaftsträgerin.“
„Sie blicken wie Menschen“, meint das Mädchen.
„Sie sind wie wir zwei“, sagt Biro überzeugt.
„Aber welcher Frosch bin ich? Sie sehen gleich aus...Wie werde ich meinen Frosch erkennen? Wir müssen sie bezeichnen, um sie unterscheiden zu können.“
„Mir liegst nichts daran, sie zu unterscheiden. Ich sehe keinen Unterschied zwischen ihnen.“
„Aber sie sind sicher verschieden, wie auch wir zwei verschieden sind. Du bist ein Junge und bist schwarz, ich bin ein Mädchen und bin weiss.“
„Warum suchst du immer nach Unterschieden? Man kann zwar unterschiedlich aussehen, aber trotzdem gleich sein. Schau, diese Frösche könnten nämlich unsere Doppelgänger sein.“ (...)

 

Jetzt war es die Mutter, die schrie: „Du verstehst einfach nicht, dass wir weiss sind. Und weil wir weiss sind, müssen wir uns wie Weisse benehmen. Sonst wird man uns hier nicht achten. Willst du, dass man dich missachtet?“ 
„Wie benimmt man sich denn als Weisse?“ fragte ich erstaunt.
„“Man bleibt unter Weissen.“
„Und als Schwarzer?“
„Als Schwarzer bleibt man unter Schwarzen.“
„Und als Gelber?“
„Mach dich nicht lustig darüber. Es ist eine ernste Sache. Ich wusste das auch nicht vorher, aber es ist nun einmal so. Alle sagen es hier.“
Ich antwortete nicht, denn ich vermutete, dass meine Mutter sich das alles nur ausgedacht hatte, um mir Angst zu machen. Sie fürchtet sich davor, dass mich Schlangen beissen würden, oder dass ich Durchfall kriegen könnte. (...)
 

 

Da kommen sie schon zum Markt. Die Leute auf der Strasse schauen sie neugierig an, weil man nie vorher weisse Kinder allein ohne Eltern in der Stadt beobachten konnte. Auf dem Marktplatz ist eine grosse Menschenmenge versammelt, die Kinder drängen sich durch sie hindurch bis zur ersten Reihe und erblicken in der Mitte einen grossgewachsenen Mann, der lediglich in einen roten Kittel gehüllt ist. Er hat schmutziges und ungekämmtes Haar, einen zezausten Bart und während er eine Rede hält, gestikuliert er mit seinen dünnen, langen Armen.

„Wer ist das?“ fragt Biba.
„Er heisst Rastamann, er ist ein Irrer“, erklärt Biro....“Er sagt, dass das Leben nicht mehr so ist, wie es früher war. Die Kühe geben keine Milch mehr, der Mais hat keine Körner, die Hühner legen keine Eier. Er sagt: Lacht nur, gute Leute, lacht, eure Kinder wühlen schon nach Küchenabfällen auf dem Müllhaufen wie ich, der Irre, wie ihr mich nennt. Und währenddessen werden die grossen Ärsche riesig wie Elefanten. Und ihr, arme Ameisen, wie werdet ihr die Elefanten auf euren Rücken tragen können?“
„Wieso grosse Ärsche? Wer hat grosse Ärsche?“ fragt Biba.
„Die grossen Ärsche nennt man die grossen Chefs, die in den grossen schwarzen Mercedes herumfahren. Man sieht sie kaum jemals, denn an ihren Wagenfenstern sind Vorhänge zugezogen. Zwei Motorräder begleiten sie mit heulenden Sirenen und öffnen ihnen den Weg. Jedesmal, wenn ihr eine Sirene hört, könnt ihr sicher sein, dass ein grosser Arsch vorbeifährt.“
„Sind sie wirklich dick?“
„Ja, wenn man reich ist, wird man dick. Sie sind dermassen reich, dass unsere Banken zu klein für ihre Gelder sind, also schicken sie das Geld zum Aufbewahren in andere Länder.“

„Ist das wahr, was der Irre gesagt hat, dass die Hühner hier keine Eier mehr legen?“ wundert sich Biba.

„Der Irre sagt Dinge, die bei uns niemand zu sagen wagt. Er möchte damit ausdrücken, dass das Leben zu teuer geworden ist.“

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Rezensionen

Ein weisses Mädchen und ein schwarzer Junge befreunden sich spontan aus innerem Zusammengehörigkeitsgefühl. Das gibt ihnen Kraft, selbstständig zu werden. Das phantasiereiche Mädchen löst sich von seiner Mutter, der Junge trotzt seinem Vater und überwindet die magischen Vorstellungen seines Volkes. Die gemeinsamen Erlebnisse der beiden werden gegenwartsnah erzählt; erst am Schluss, mit dem Plan, im verbotenen Heiligen Wald Kinderkonferenzen abzuhalten, kippt die Geschichte ins Utopische. Reizvoll ist, dass zwei Autoren sie gemeinsam verfasst haben....Darum wirken die Menschen in ihrem Denken und Handeln echt. 
E. Ritter 

Während einer Afrikareise mit ihrer Mutter begegnet die weisse Barbara dem schwarzen Knaben Biro. Daraus entwickelt sich eine kindliche Freundschaft, trotz der verschiedenartigen kulturellen Herkunft der beiden. Diese Auseinandersetzung, welche zu einer verständnisvollen Annäherung und zu gegenseitigem Akzeptieren führt, ist faszinierend. Entlarvend dabei auch die Erwachsenenhaltung, welche der Unbekümmertheit der Kinder im Wege zu stehen droht...Eine spannende Geschichte. 
Der Kern der Geschichte, das Ausbrechen zweier Kinder aus starren Regeln, ihr Sieg über eine ganze Meute scheinbar unbelehrbarer oder bösartiger Erwachsener in den politischen Spannungen der Gegenwart, wäre sehr unwahrscheinlich und illusionär, ja irreführend, wenn es den Verfassern, einer in der Schweiz lebenden Slowakin und einem schwarzen Guineer (beide Emigranten) nicht so hervorragend gelungen wäre, der Sprache des Mädchens und des Jungen, die sie wechselseitig vertreten, und ihren Erlebnissen ein unwiderstehliches poetisches Flair zu geben. Dieses phantastische Element macht die „Glaubwürdigkeit“ der Geschichte aus, sie gibt der Utopie eine Authentizität, die die Realität (noch) nicht haben kann. Doch sie zeigt, dass es der Unmittelbakeit, der Kreativität, der Unbeirrbarkeit der Kinder bedarf, um sie der Erfüllung näher zu bringen. Eine nicht ganz einfache Lektüre für Kinder ab 10 Jahren, die auf die Probleme in Schwarz-Afrika aufmerksam macht. Geeignet auch für ältere Leser als Diskussionsanstoss. 
Ottilie Dinges 

Das von Irena Brežná und Alpha Oumar Barry gemeinsam verfasste Buch „Biro und Barbara“ wendet sich gleichermassen an Kinder wie auch an erwachsene Leser. Im gemeinsamen Verfassen des Buches findet eine Begegnung zwischen europäischer und afrikanischer Erlebnis- und Gedankenwelt ihren reizvollen literarischen Ausdruck...In der mehr episodisch als in fortlaufendem Erzählgang angelegten Geschichte kommt immer wieder die Hinwendung zum Abenteuerlichen und Elementaren zum Ausdruck - wenn auch in verhaltenen und gleichsam sübtilen Ausformungen. So ist dem Buch auch ein feiner und wissender Humor eigen, der sich in hintergründigen Fragen äussert, etwa so: „Können Frösche Doppelgänger von Menschen sein?“ Es ist dies jene Art von Humor, die oft schon dem Kind eigen ist, und die ihre Kraft mehr aus der unverstellten Anschaung der Dinge bezieht, als etwa aus assoziativen Konstruktionen. Von der Erzählung geht ein poetischer Zauber aus - wie er bisweilen in alten Kinderbüchern zu finden ist, in denen Träume und alltägliche Erlebnisse sich überschneiden. Dies kommt insbesondere in den Landschafts- und Naturschilderungen zum Ausdruck, die durch ihre klare und schöne Linienführung bestechen. 
Hanns Schaub 

So fragwürdig es ist, dass wir unser Wissen über das Leben in afrikanischen Ländern immer noch von Europäerinnen und Europäern vermittelt erhalten, so schwierig ist es meist, Bücher von afrikanischen Autorinnen und Autoren ohne zusätzliche Informationene zu verstehen. 
Als Beispiel dafür mag „Biro und Barbara“ gelten - ein Kinderbuch, das die in der Schweiz lebende Slowakin Irena Brežná gemeinsam mit dem in Paris lebenden Westafrikaner Alpha Oumar Barry geschrieben hat. Ein weisses Mädchen reist für kurze Zeit mit seiner Mutter in eine afrikanische Stadt und begegnet einem schwarzen Jungen. Die beiden streifen gemeinsam durch die Umgebung und tauschen dabei viel über ihre Kultur aus. Biro gibt Rätsel auf und erzählt ein Märchen. Im Verhalten der Erwachsenen ihnen gegenüber spiegeln sich die verschiedenen Kulturen, aus denen sie kommen. Die Kinder lehnen sich auf gegen die Rassentrennung, die ihnen die Erwachsenen aufzwingen wollen, sie träumen von einer Konferenz mit Kindern aus aller Welt. 
Dieses poetische, nicht der Realität verpflichtete Buch ist recht anspruchsvoll zu lesen. Es verlangt, dass man sich auf das Fremdartige einlässt, dass die Widersprüche - zum Beispiel die verschiedenen Erziehungsgrundsätze der afrikanischen und der europäischen Eltern - ertragen werden. Die vorliegende Auswahl von Kinder- und Jugendbüchern macht klar, dass die Auseinandersetzung mit Fremdem, trotz der Faszination, die es ausüben kann - immer auch schmerzlich, aufwühlend und anstrengend sein kann. 
Blanca Steinmann

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