Die Wölfinnen von Sernovodsk
Tschetschenien - eine Reportagensammlung über den brutalen russischen Kolonialkrieg mit viel Sympathie für das sich wehrende kleine kaukasische Bergvolk. Die Kriegsjournalistin ist eine detailvernarrte Chronistin, die auch tote Kühe in den zerbombten Dörfern und das Teetrinken aus angeschossenen Tassen wahrnimmt. Zwischentöne, Kraft und Zerstörung, Tod und Widerstand sind der Spannungsbogen dieser eigenwilligen Texte aus dem ersten Tschetschenienkrieg. Die Autorin reflektiert auch über die Ethik der Kriegsberichterstattung und die Auswirkungen der Kriegserfahrung auf die Psyche der Medienleute.
Sammelband:
„Die Wölfinnen von Sernowodsk“,
Reportagen aus Tschetschenien
Quell Verlag, Stuttgart 1997, 164 S. nicht mehr im Buchhandel.
Übersetzungen
Der Sammelband mit Reportagen und Essays aus Tschetschenien Le Lupe di Sernovodsk (aus den Jahren 1996 bis 2012) ist 2016 auf Italienisch bei Editore Keller erschienen:
Auszüge
Aus der Titelreportage „Die Wölfinnen von Sernowodsk“:
„Einige Frauen im Bus sprangen auf, umringten mich, eine junge Bäuerin band mir ein Kopftuch um. Gross und beige war es, mit abstehenden wollenen Zotteln.
„Es gehört meiner Grossmutter, die in Sernowodsk geblieben ist“, sagte sie.
„Nimm die Ringe ab“, riet mir eine andere, „sonst könnten sie sie dir abziehen.“
Die Frauen sprachen nie von „Soldaten“ oder „Russen“, sie sagten schlicht „sie“. Es klang, als sprächen sie von einer anderen Gattung Mensch. Ich zog zwei Ringe ab, legte sie in die Jackentasche, den dritten behielt ich an. Meinen Schweizer Pass und den Ausweis der „Sonderkorrespondentin“, den mir das Aussenministerium in Moskau ausgestellt hatte, schob ich in die Strumpfhose auf den Bauch.
„Du bist eine Lehrerin aus Sernowodsk, du heisst Irina Michajlowna Kusnetsowa.“
„Aber ich habe einen Akzent im Russischen.“
„Wenn du weinst, merken sie es nicht.“
Zur Freude der Frauen wiederholte ich: „Irina Michajlowna Kusnetsowa.“
Wir näherten uns dem Kontrollposten, und die Frauen redeten hastig auf mich ein: „Du darfst keine Tür aufmachen, kein Haus alleine betreten. An der Haustür könnten Granaten befestigt sein, und beim Öffnen explodieren sie. Du musst immer mit uns zusammenbleiben, darfst keinen Schritt alleine tun. Sie haben womöglich Scharfschützen aufgestellt und werden uns mit Fernrohren beobachten.“
Wie stiegen aus. Ich starrte auf zwei kleinwüchsige Soldaten, die mit riesigen Kalaschnikows unsicher auf und ab gingen. Über dem Gesicht trugen sie schwarze wollene Masken.
„Schau zu Boden, sonst erkennen sie dich am Blick.“
„Ich habe Angst“, sagte ich leise.
Eine Frau hackte sich bei mir ein.
„Wir haben alle Angst. Komm mit, jemand muss es doch aufschreiben.“ Vor der Absprerrung warteten schon etwa 200 Frauen. Ein Panzerwagen fuhr langsam durch die auseinandertretende Menge.
Ich wurde an den Strassenrand gedrängt, doch die Frauen hielten mich zurück: „Geh nicht von der Strasse ab, letzte Woche sind hier drei Frauen einer Kuh nachgerannt und von einer Mine zerrissen worden.“
Vier Soldaten ohne Masken kontrollierten die Ausweise. Ich wurde in die Nähe eines älteren Soldaten mit einem verhärmten Gesicht gestossen, doch ich beschloss, mich zu einem jüngeren mit blauen Augen durchzudrängen. Als ich an die Reihe kam, rannen mir ohne mein Zutun Tränen über die Wangen, kalte Finger griffen nervös ineinander: „Mein Haus ist abgebrannt, ich habe alles verloren.“
Der Soldat versuchte mit Strenge so etwa wie Mitleid zu überspielen: „Haben Sie eine Niederlassungsbewilligung in Sernowodsk?“
Ich schluchzte, und einige Frauen riefen empört: „Sie ist doch unsere Lehrerin! Haben Sie denn kein Gewissen?“
Er schaute mich prüfend an und liess mich durch.
Die Frauen nahmen mich in ihre Mitte und flüsterten: „Gut gemacht.“
Wir gingen etwa zwanzig Minuten geradeaus auf der Hauptstrasse. Ringsherum lag im leichten Frost lockeres Ackerland. Ich dachte daran, dass die Besatzungsarmee das Dorf umzingelt und die Felder vermint hatte, dachte daran, dass der sichere Asphat unter unseren Füssen schmal war. „Der Krieg ist schmal“, dachte ich, „er ist einengend.“ Einige junge Bäume am Strassenrand waren zerschossen, Äste hingen zu Boden.
„Warum haben sie auf Bäume geschossen?“
„Einfach so“, erwiderte eine Frau...
Bei der Dorfeinfahrt sah ich das erste in sich gesunkene, ausgebrannte Auto, die ersten Bombenlöcher in Wellblechdächern einiger niedriger, länglicher Häuser.
„Hier lebten viele Flüchtlinge aus Grosny und ganz Tschetschenien“, erklärte mir eine rundliche Frau mit sehr weissem Gesicht und dunklen Augen.(...)Wir gingen schnell, schweigsam, federnd wie Katzen. Ich schaute mich um, zu den Dächern, in die Höfe.
Die Frau neben mir schaute unter die Füsse: „Vorsicht, Drähte.“ Elektrische Leitungen hingen herab, über dem Lehmboden lagen verstreut zerbrochene Ziegelsteine, Glasscherben, Bretterteile.(...)
Über dem Verwesungsgeruch ertönte der Chor vieler Tierlaute. Ein weisses, neugeborenes Kätzchen leckte Blut aus einer Wunde am Oberschenkel eines Kuhkadavers, schaute mich mit halbblinden blauen Augen an und miaute. Hunde lungerten in kleinen Rudeln, rannten auf uns zu, blieben in einem höflichen Abstand stehen. (...) Als sich uns ein hellbraunes Kälbchen näherte, lachte die Frau: „Du bist am Leben?“
Aus dem Hintern einer toten Kuh quoll eine Art rosaroter Ballon heraus. Ich blieb stehen: „Ist das der Magen?“ „Nein, ein ungeborenes Kalb.“
Die Frauen duzten mich von Anfang an. Nachdem ich ihr Dorf betreten hatte, duzte ich sie auch. Wir sprachen miteinander in kurzen Sätzen.(...) Eine andere Frau kam in den Hof, und Sula sagte: „Schnell, die Tiere.“ Auf dem Weg zum Stall lag ein umgekippter Schrank. Wir stellten ihn gemeinsam wieder auf. Da erblickten wir ein paar Schafe, ein Lamm, ein Kalb, ein nobles braun-weisses Pferd und drei Kühe. Sula musste von einem grossen Glück überwältigt worden sein. Ihre flinken Bewegungen wurden noch geschmeidiger. Sie sprach zu den Tieren, und das konsonantenreiche Tschetschenisch klang zärtlich. Zuerst band sie die auf dem Stroh liegenden Kühe los. Eine andere Kuh war hinter einem Bretterzaun im Stall steckengeblieben. Sula nahm die Axt, eine andere Frau packte eine Metallstange, die Kuh zuckte zusammen, und Sula sagte auf russisch: „Gedulde dich, du hast doch schon alles gesehen.“
Zuerst nahm ich den Aufschrei aus mehreren Kehlen wahr, dann erst erblickte ich die Leiche eines Mannes, das Gesicht nach unten gekehrt. An seinem Nacken klebte viel getrocknetes Blut. Er war nur mit einem grauen Pullover und einer schwarzen Hose bekleidet. Immer mehr Frauen strömten in den Hof, umkreisten die Leiche, wichen wieder zurück, traten auf der Stelle, drehten sich um die eigene Achse, schlugen die Hände vors Gesicht. Das Geheul war hoch und bestand aus dem Vokal A.
„Wie Wölfinnen“, fiel mir ein. Es war instinktiv und erfasste uns alle. Der Panzerwagenlärm, der uns hierher getrieben hatte, war vergessen. Jemand holte aus dem Haus eine rosa Wolldecke mit orientalischen Mustern, und die Frauen rollten den Toten darauf. Beim Umdrehen sahen wir anstelle des Gesichtes ein schwarzes Loch. Die Ratten hatten nur die halbe Stirn übriggelassen.
Eine Frau bückte sich, als wollte sie sich übergeben, spuckte aber bloss aus. Sechs Frauen, drei an jeder Seite, packten die Decke mit dem Toten und trugen ihn fast rennend hinaus auf die Strasse. Als sie an mir vorbeikamen, starrte ich auf die schmutzigen Schuhe, die aus der Decke heraushingen.(...)Wenn ich an die Tschetscheninnen denke, sehe ich vor mir die Silhoutten der starken Frauen, wie sie in der Mittagssonne den Tod aus dem Hof tragen. Hinter ihnen weht sein Modergeruch. Und ich höre den tschetschenischen Frauenchor, den Klagegesang.“
Aus „Jagd nach der Einheitsträne“ (Schein und Wirklichkeit des Kriegsjournalismus):
„Wir sind ein Begvolk. Wir weinen nicht. Sollen statt uns die Berge weinen.“ So sagt man hier, und so kämpft man hier. Wahrscheinlich ist solche Differenziertheit einer TV-Karriere abträglich. Ein engagierter Filmer vertraut auf das feste Fundament der Einheitsträne aller Völker. Die Kamera zielt auf einige alte Frauen auf einer Bank neben den Hausruinen von Samaschki. Sie weinen nicht, aber eine kundige Frau, die wir schon gedreht haben, gibt ihnen den Hinweis, und sie weinen los. Diese Szene wird selbstverständlich in den Film aufgenommen. Dabei gehört gerade stoisches Verhalten zur kulturellen Eigenart dieses zähen Volkes. Ob ältere Menschen, die erzählen, wie sie 1944 auf Befehl Stalins in Viehwaggons gesperrt und nach Kasachstan deportiert wurden, ob Mütter, die berichten, wie ihnen die russischen Soldaten heute ihre Söhne aus den Armen reissen, um sie in sogenannte Filtrationslager zu verschleppen, wir wirken dabei gefasst.
Gestrichen wird allerdings die Szene mit einem alten Mann, dessen Sohn, Tochter und Schwiegersohn getötet und von dessen Haus nur eine Mauer übriggelassen wurde, der würdevoll in die Kamera sagt: „Alles, was Gott uns gibt, erfreut uns.“
Solche Spiritualität kann man weder den Vorgesetzten in Zürich noch den Zuschauern zumuten. Denn wer etwas verloren hat, der klagt. Die Kunst, solche siebenminütigen Filmberichte in ein paar Tagen in einem völlig unbekannten Land zu drehen, liegt in der Vereinfachung der Vereinfachung der Vereinfachung.
Aber die steigende Nachfrage nach Nekrophilie gehört zum Mediengrundgesetz. Bevor man eine solche interessante und finanziell einträgliche Reportage fest zugesprochen bekommt, muss man noch die Chefs aufmunter: „Seien Sie unbesorgt, der Krieg wird weitergehen.“
Dass aus den ausgebrannten Kulissen von Grosny schon mittags anmutige, frischgewaschene Frauengestalten, kunstvoll frisiert, ein zusammengerolltes dünnes Kopfband anstelle des Kopftuches, in enganliegenden langen Kleidern, drapiert mit Spitzen, in lackierten Stöckelschuhen aufsteigen, als wären sie unterwegs in die Pariser Oper, führt unsere Vorstellung von Kriegsleiden ad absurdum. Das kann man nicht zeigen. Der protzige Überlebenswille dieser Tschetscheninnen könnte Neid, Empörung hervorrufen.
Sainab freut sich über die ungebrochene Ästhetik ihres Volkes: „Schau, wie schön wir sind. Dieser Krieg hat uns gelehrt, dass es sich nicht lohnt, Besitz anzuhäufen. Je mehr man uns bombardiert, umso besser kleiden wir uns, auch wenn wir vielleicht nicht immer satt sind. Wir wissen, dass wir schon morgen tot sein können. Wir gehen aufrecht an den Besatzern vorbei, um ihnen und uns zu sagen: „Ihr könnt uns nicht besiegen.“
Aus „Der verschluckte Tod“ (Die Kinder Tschetscheniens):
Im Hof eines ausgebombten Hauses in Samaschki stand eine hagere Grossmutter, um sie herum drängten sich kükenhaft ihre acht Enkelkinder. Die Grossmutter erzählte, wie die russischen Soldaten in den Hof gekommen waren, wie sie ihren Schwiegersohn, den Vater der Kinder, an die Wand gestellt und in seinen Oberkörper geschossen hatten. Als er nicht hinfiel, hatten sie eine Ladung auf seine Beine geleert. Da fiel er vor den Augen der Kinder hin. Die Grossmutter machte mit beiden Händen eine Geste des Fallens. Dann führte sie uns zum Tor und erzählte, wie dort ihre Tochter, die Mutter der Kinder, von einem Geschoss getötet worden war. Sie hatte gerade den Kindern das Essen gebracht. Ich schaute die Kinder an. Keines wandte sich von den unfassbaren Worten der Grossmutter ab, keines hielt sich die Ohren zu, keinem quoll Schaum aus dem Mund, keines warf sich zu Boden, um sich in Krämpfen auf dem Schutt zu wälzen. Es schien, als lauschten die Kinder einem vertrauten Schauermärchen aus vergangenen Zeiten, aus einem fernen Königreich. Sie standen artig, reglos da, sie hörten und sahen alles. Nur ein Mädchen leckte sich kurz die Lippen ab, als hätte sie wieder mal den Tod verschluckt. Ob diese Kinder nachts jäh aufwachen und mit den streunenen Hunden heulen?
„Wenn sie die Hubschrauber hören, rennen sie in den Keller“, sagte die Grossmutter müde. Als wir sie verliessen, standen sie vor ihrer Hausruine, ein Mädchen erhob die Faust, und die anderen Kinder taten es ihr gleich, sie lachten halb verlegen, halb schelmisch und riefen: „Allahu Akbar, Gott ist gross.“
Aus „Gesang der Wajnachinnen“ (Frauenstimmen aus dem Krieg):
Man bombardierte uns den ganzen Tag lang.
Die Kinder, acht- und neunjährig stehen da und beten zu Allah
Lass nicht zu, dass wir alle sterben
Und ich dachte
Was bin ich für eine grausame Mutter
warum bin ich nicht geflohen
warum töte ich die Kinder
mit meinen eigenen Händen?
Da kamen sie mit Panzern in unseren Hof
Ich ging auf die Knie, bat sie: Hier sind Kinder
ihr seid doch auch Menschen, schiesst nicht!
Und die Kinder hörten nicht auf, Allahs Namen zu rufen
Das hat uns wohl gerettet
Wem nützt unser Unglück?
Sicherlich nützt es jemandem
Als ich unser verbranntes Haus sah
bekam ich einen Kloss im Hals
Die Nachbarn versammeln sich
versuchen uns zu beruhigen
haben Mitleid mit uns
vergessen ihre eigene Not
Doch ich verzweifle nicht
ich ermuntere die Kinder
dass wir alles neu errichten werden
dass die Zukunft vor uns liegt
Die Tschetschenen sind
wie Ameisen in einem Ameisenhaufen
immer in Bewegung
Kaum hat man uns zerbobmt
schon flicken wir das Loch zu
Ich fürchte mich sehr davor
den Glauben an Allah zu verlieren
Aber ich bete zum Allmächtigen
dass er mich von diesen Zweifeln befreit
Die russischen Soldaten, die man auf uns hetzt
sind oft Waisenkinder
ohne Mutter und Vater
ohne Gott aufgewachsen
Wir wollen nichts anderes
als nach unseren eigenen Vorstellungen leben
Wir mögen uns irren
aber dies ist das Leben, das wir wollen
und man soll uns nicht mit Gewalt zwingen
ein anderes Leben zu führen
Die Wajnachen werden nie
die Schande auf sich nehmen
nicht für sich einzustehen
nur deshalb, weil die Übermacht zu gross ist
Ich hatte russische Freunde
aber mein Verständnis von Russland
wird nie mehr dasselbe sein wie vor dem Krieg
Wenn es vor dem Angriff in unserem Dorf
vielleicht zehn Widerstandskämpfer gab
dann sind es heute dreihundert
Bauern, deren Häuser brennen
Sie sagen, sie stellen bei uns die Ordnung her
Warum stellen sie nicht in Russland die Ordnung her?
Als ich hinausging und den Rauch sah
der aus der Stadt stieg
begriff ich, dass mein bisheriges Leben zu Ende ist
Ich beschloss zu kämpfen
die Stimme zu erheben, dmit man uns hört
Seitdem bin ich fast nie mehr zu Hause
versuche zu helfen
Wir Frauen organisieren uns
Viele kritisieren meinen Mann
dass er mir das Herumreisen gestattet
aber eher lasse ich mich scheiden
als mich davon abbringen zu lassen
dort zu sein, wo mein neuer Platz ist
bei meinem Volk.
Rezensionen
Bis zum Dezember 1994 war das kleine Tschetschenien im Nordkaukasus für die Weltöffentlichkeit kaum ein Begriff. Zu jenem Zeitpunkt drangen grössere russische Truppenverbände in das Bergland ein und versuchten mit rücksichtsloser Gewalt, die tschetschenische Republik, die ihre Unabhängigkeit von Russland erklärt hatte, wieder unter die Kontrolle Moskaus zu bringen. In dem fast zweijährigen grausamen Krieg gelang es dem russischen Goliath nie, das zähe Bergvolk niederzuringen. (...)
In der Einführung zu Irena Brežnás Buch wird zu Recht argumentiert, dass Moskaus Invasion in Tschetschenien einen klaren Völkerrechtsbruch darstellt. (...)Von solche politischen Zusammenhängen ist in Irena Brežnás Reportagen aus Tschetschenien nur am Rande die Rede. Aber ihre Augenzeugenberichte über konkrete Erfahrungen mit dem blindwütigen russischen Terror gegen tschetschenische Städte und Dörfer bringen die physischen und seelischen Zerstörungen, die dieser Krieg angerichtet hat, dem Leser in einer Weise nahe, dass er sie nicht so schnell wieder vergisst. Die Autorin war, verkleidet als Tschetschenin, dabei, als russische Belagerungstruppen einheimische Frauen für kurze Frist in das Dorf Sernowodsk zurückkehren liessen, nachdem sie das Dorf zuvor rücksichtslos durchkämmt und mitsamt seiner männlichen Bevölkerung vernichtet hatten. Ihr Respekt gilt vor allem den tschetschenischen Frauen, die durch den Krieg und das durch ihn verursachte Leiden in einer „Würde der Verletzten“ neue innere Stärke finden. (...) Irena Brežná sehr persönlich gefärbte Reportagen sind Zeugnisse gegen das Vergessen der tschetschenischen Tragödie.
Reinhard Meier, Neue Zürcher Zeitung, 19. 2. 1998.
Die Frauen stehen in Irena Brežnás Buch im Mittelpunkt, die Frauen im Tschetschenienkrieg. Die slowakische Journalistin hat mit ihnen im Kaukasus gelebt, ist mit ihnen über die Minenfelder gelaufen, hat sie um ihre toten Männer und Kinder weinen gesehen. Doch der sehr persönliche Reportagenband stimmt nicht nur traurig, macht nicht nur wütend. Man zollt den Frauen vor allem Respekt für ihren starken, nicht zu brechenden Überlebenswillen.
Stuttgarter Zeitung, 29.5.1998.
Durch ihre (Irena Brežnás) Kenntnis der russischen Sprache und ihren Zugang zu den tschetschenischen Frauen bekommt sie tiefe Einblicke in die Grausamkeiten dieses Krieges. Sie beschreibt Charaktere, Sitten und Gebräuche der Tschetschenen, die nicht nur alles verloren, sondern auch in ihren heiligsten Gefühlen missachtet und gedemütigt werden. Zwei Reportagen, die ausserordentlich nachdenklich machen, befassen sich mit den Gesetzmässigkeiten des Kriegsjournalismus. Brežná findet eine eindringliche Sprache, um das Entsetzen zu bannen. Dem Moskauer Fotografen Walery Shchekoldin sind die bewegenden Schwarzweissfotos zu verdanken. Ein Vorwort von Felicitas Rohder, Gesellschaft für bedrohte Völker, liefert den politischen Hintergrund. Ein Buch, dem ich viele LeserInnen wünsche. Sehr gut auch für Gruppenarbeit geeignet.
Lieselotte Diepholz, Der evangelische Buchberater, 1998/2.
Irena Brežnás Tschetschenien Reportagen „Die Wölfinnenvon Sernowodsk“ bieten einen Einblick in jene Krisenregion, die nach dem Abzug der russischen Armee aus dem Rampenlicht der Medien verschwand.(...) Krieg, das machen die von Brežná selbst dokumentierten Aussagen tschetschenischer Frauen deutlich, ist ein zu blutiges Geschäft, als dass man blauäugig für eine Seite Partei ergreifen kann.
Jens Becker, Frankfurter Rundschau, 17.8.1998.
„Ich habe Angst.“ - „Komm, jemand muss es doch aufschreiben!“ In ein weites Kopftuch gefüllt wie eine Einheimische, wird Irena Brežná im März 1996 als „Lehrerin Irina Kusnetsowa“ von ihren tschetschenischen Begleiterinnen an schwarzmaskierten Soldaten vorbei in den von den Russen gestürmten Kurort Sernowodsk geschmuggelt. Ausgebrannte Häuser. Leergeräumte Wohnungen, in denen die süchtigen Plünderer nur ihre benutzten Spritzen und leere Wodkaflaschen zurückliessen. Kühe, die sie nicht mitnehmen konnten, wurden lieber mit Kopfschuss getötet, als sie den Tschetschenen zu lassen. Hunderte Kadaver verrotten in den Strassen, währen die Überlebenden hungern.
Irena Brežná schildert in ihrem neuen Buch den Wahnsinn des russischen Völkermords an den Tschetschenen 1994-96, indem sie ihren eigentümlichen Blick auf seine banalen, schmutzigen Details richtet. Die Berichte ihrer Gesprächspartnerinnen über Vergewaltigungen, Massengräber und Zerstörung montiert sie zu einem erschütternden Klagelied, dem „Gesang der Wajnachinnen“. Aber es ist nicht Mitleid, was wir für die Frauen Tschetscheniens empfinden, sondern Hochachtung. Zur Zeit, da neue Vorurteile über die Tschetschenen verbreitet werden, das beste erhältliche Buch über sie.
Felicitas Rohder, Pogrom, Zeitschrift für bedrohte Völker, Göttingen, Nr. 198, Dez. 97-Febr. 98.
Andere Publikationen
Texte zu Tschetschenien im Buch "Die Sammlerin der Seelen, Unterwegs in meinem Europa, Aufbau-Verlag, 2003 Berlin.
Frauen in Tschetschenien in der NZZ:
"Raub der Tschetscheninnen"
Porträt von Zainap Gaschajewa in der Berner Zeitung
Chodorkowskij zu Tschetschenien, Die Zeit, 3. Januar 2014
Prezentácia knihy "Vlčice zo Sernovodska" v Bratislave - Videoaufnahme
In folgenden Sammelbänden erschienen meine Texte zu Tschetschenien:
Europa im Tschetschenienkrieg, Zwischen politischer Ohnmacht und Gleichgültigkeit, Herausgeber Martin Malek und Anna Schor-Tschudnowskaja, ibidem Verlag, Stuttgart, 2008.
Meine Beiträge darin:
- Wenn fremde Trümmer zur Heimat werden (Friedens- und Frauenbewegung im Tschetschenienkrieg und persönliche Erfahrungen als Kriegsjournalistin)
- Liebespost an Ramzan, Eine Replik auf die Tschetschenienreportagen von Barbara Lehmann (Kritik an der kremlkonformen Schreibe einer deutschen Journalistin)
60 Jahre Menschenrechte, 30 literarische Texte, herausgegeben von Svenja Herrmann und Ulrike Ulrich, Salis Verlag, Zürich, 2008.
Mein Beitrag darin:
- Saburas Dilemma (Anhand der Geschichte einer krebskranken Tschetschenin werden die verheerenden Kolateralschäden in der Bevölkerung und Umwelt im Nordkaukasus illustriert)